23/04/2018
Techno, Kunst, Museum - Das Filter
Die elektronische Musikkultur hatte in den vergangenen Jahren enorm mit dem Problem der Inflation zu kämpfen.
Facebook-Feeds, in denen einen täglich Live- und DJ-Sets anbummsten. Boiler Rooms auch aus der hintersten australischen Club-Toilette. Die totale (meist auch von den Artists selbstgewählte) Ausleuchtung von Künstlerleben, Szenen und vermeintlichen Mythen. 14 Snapchats aus dem Taxi. Was soll da noch kommen?
Das permanente Streamlining und Effizienzgebahren des Kapitalismus hat die elektronische Popkultur seit Jahren nun voll im Griff. Die immerzu gleichen Bookings auf den immerzu gleichen Festivals, egal auf welchem Dekmantel oder Coachella dieser Welt. Die Webseite Resident Advisor sagte 2017 ihre eigenen DJ-Polls ab, weil sie (zu spät) selber bemerkt hat, dass Rating-Systeme nicht nur bei internationalen Finanzökonomien, sondern auch im Musikgeschäft ihre eigenen (und selten guten) Dynamiken mit sich bringen. Keiner will Standard & Poor’s sein.
Auch in Berlin merkt man derzeit, dass die Omnipräsenz von Techno zur Umorientierung führt. Wenn Raven im Berghain mittlerweile zum touristischen Mainstream geworden ist, und der schwarz gekleidete Goth-Raver sich nun synonym zum Pornobrillen-Tanktop-Träger mit Schweinsteiger-Iro auf Ibiza Anfang der Nullerjahre verhält – und gar zur Spiegel-Drogenhöllen-Geschichte taugt – wo ist dann die Avantgarde? Oder um es mit Mike Meiré zu sagen: „Wo ist the latest shit?“
Für viele scheint die Kunst der einzig veritable Ausweg, um aus dem Dauerrauschen-Dilemma rauszukommen. Vorbei das Flaggenhissen der Werte künstlerischer Basisdemokratie. Der einstige Klassenfeind, die kulturelle Institution, das inszenierte Spektakel, die Rekuperation der Benjamin’schen Aura des Kunstwerks – die Erfahrung – die Experience wie es neudeutsch auch heißt, rückt perspektivisch leicht verrückt in den Vordergrund der Rezeption elektronischer Musikkultur. Der Installationsblockbuster Skalar von Christopher Bauder und Kangding Ray zog Anfang des Jahres mehrere zehntausend Besucher ins Berliner Kraftwerk. Auch finanziell dürfte sich die Lichtshow, die so oder ähnlich in Zukunft garantiert auf Automessen oder in Megaclubs in Dubai zu sehen sein wird, gelohnt haben. Die Location Monom im Funkhaus an der Nalepastraße ist an sich bereits das Spektakel. Eine 4D-Spatial-Soundanlage soll Künstler und Zuschauer gleichermaßen inspirieren. Immer wieder fallen die Wörter Immersion und eben Experience. Allen ist gemein, dass trotz aller Instagrammerei man schon in persona dabei sein sollte, um auch nur ansatzweise zu verstehen, was sich die Artists so ausgedacht haben. Da ist sie wieder, diese Aura der Einmaligkeit, der flüchtige Moment, das Ätherische der Musik. Ihr wollt einen neuen Trend? Da habt Ihr ihn.
Das seit Jahren geplante Hexadome vom Institute of Sound and Music (ISM) debütierte die vergangenen Wochen im Martin-Gropius-Bau und ist ebenfalls als immersive, audiovisuelle Installation und Performance-Plattform zu verstehen. Dutzende Highend-Lautsprecher und sechs Projektionsflächen füllen den großen Saal im Gropius-Bau. Die Künstlerliste liest sich renommiert und dennoch durchdacht kuratiert. Natürlich war der Opener von Brian Eno ein erster großer Magnet. Eno brauchte mehrere Anläufe, um die passenden Sounds für das Hexadome zu kreieren. Der sekundenlange Nachhall der Architektur brachte eigene akustische Herausforderungen mit und Tage verbrachte der Ambient-Godfather damit, den geschichtsträchtigen Raum mit der perfekten klanglichen Ausstaffierung zu beschallen. Enos Arbeit „Empty Formalism“war ambient, die Visuals stoisch, grafisch mit unscharfen Trennlinien. Schaute man lange drauf, wusste man irgendwann nicht mehr, ob das Gehirn wie bei einer optischen Täuschung eigene Zeilen dazu rappt oder die Bilder dann doch animiert gewesen sind. Wenig machen als Basiskonzept, niemand kann das so elegant und emotional wie die britische Musikerikone.
Schaut man sich die anderen Installationen und Performances wie die von Tarrik Barri und Thom Yorke oder von Holly Herndon und Mathew Dryhurst an, erkennt man schnell, was das Hexadome eigentlich ist. Es ist ein hochtechnisiertes blankes Dispositiv. Eine Art Hightech-Leinwand. Man stelle sich vor, drei Maler würden die gleiche Leinwand bemalen. Auch hier kämen unterschiedlichste Werke bei raus. Ist es bei Eno skulptural und meditativ, machen Dryhurst und Herndon eine interaktive, multimediale Live-Theaterperformance draus, in der das Publikum dazu angehalten wird, eine künstliche Intelligenz namens Spawn zu trainieren. Handlungsanweisungen aus der experimentellen Kunst/Musik gibt es hier. Schauspieler verstecken sich im Raum und tauchen plötzlich auf. Sogar singen muss das Publikum, kurz erklingt der Saal wie durch einen Choral beschallt. Aber wer trainiert hier wen? Die Menschen die KI oder doch die Künstler nur die Menschen, die beim gemeinsamen Spaß gar nicht merken, dass sie vielleicht die KI, die Maschine sind?
Das Hexadome beendete seine zu kurze Spielzeit am Wochenende mit Shows und Installationen von Ben Frost & MFO, René Löwe und der Pfadfinderei und es war in vielerlei Hinsicht besonders. Dabei mangelt es in Berlin bekanntlich nicht an Highlights. Das Hexadome war kein prätentiöses Anbiedern an die Hochkultur, so wie man es gerne mal bei arrivierten DJs/Produzenten wie Henrik Schwarz sieht, die plötzlich mit Streichorchestern arbeiten wollen, weil immerzu Ableton dann doch zu eintönig ist. Vielmehr wurde eine mediale Schnittstelle, ein Forum, geschaffen. Hexadome ist weder Club, noch reine Medieninstallation und bis auf die technischen Limitierungen gab es offenbar auch keine künstlerischen Vorgaben. Es war spannend und divers. Man spürte aber auch, dass alle beteiligten Künstler sichtlich motiviert gewesen sind. Es waberte ein erfrischend-naiver Eifer durch die Gemäuer, es ging kaum um abgeklärte Routinen. Und es fühlte sich bei aller kulturpessimistischen Skepsis neu an. Das Team vom ISM hat bewiesen, dass elektronische Musik in der Tat im Museum stattfinden kann. Nämlich dann, wenn das Ausstellen von Kunst und Geschichte mehr ist als das taxonomische Archivieren und Zurschaustellen antiker Devotionalien. Und: Man muss auch nicht laut und marktschreierisch dabei sein. Geht eben auch in zeitlos und dem Rahmen entsprechend. Dabei ist das Hexadome erst der Beginn einer Reihe von Aktivitäten des ISM. Man munkelt ja, da seien noch ganz andere, noch größere Projekte in der Planung. Sollte da etwa ein Techno-Museum nach Berlin kommen?
Autor: Ji-Hun Kim
Quelle: Das Filter
Originalartikel hier